N. 3 – Maggio 2004 – In Memoriam – Bussi

 

 

Gerhard Dilcher

Universität Frankfurt am Main

 

In memoriam

Nachruf auf Emilio Bussi*

 

 

 

Am 14. November 1997 verstarb in Rom der emeritierte Ordinarius für italienische Rechtsgeschichte der Universität Modena Emilio Bussi im hohen Alter von 93 Jahren.

Mit ihm schied ein großer Freund Deutschlands und der deutschen Rechtsgeschichte, Teilnehmer vieler Deutscher Rechtshistorikertage und Mitarbeiter dieser Zeitschrift. Seit den fünfziger Jahren hatte er sich zunehmend der Verfassungsgeschichte des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation zugewandt, in dem er eine Grundlage Europas sah.

Emilio Bussi, 1904 geboren, stammte aus dem begüterten und gebildeten Bürgertum Oberitaliens. Sein Vater war Offizier, mit hohen Auszeichnungen und schweren Verwundungen aus dem ersten Weltkrieg. Das Elternhaus und das Erlebnis der Kriegs- und Nachkriegszeit prägten Emilio Bussis konservative Überzeugungen. Er studiert 1922-1926 Rechtswissenschaft in Modena, praktiziert als Anwalt und habilitiert sich 1933 in Mailand für italienische Rechtsgeschichte. Nach der Dozentenzeit wird er 1940 an die Universität Cagliari berufen und macht sich dort bei dem Wiederaufbau des Studiums nach Kriegsende verdient. Seit 1958 bis zu seiner Emeritierung lehrt er dann italienische Rechtsgeschichte an der heimatlichen Universität Modena und übernimmt dort teilweise auch den Kurs Diritto Comune. Seit 1940 ist er mit Frau Teresa Tauro, Literaturwissenschaftlerin und selber Schriftstellerin, verheiratet. Wohnort der Familie wird die italienische Hauptstadt Rom. Die Tochter Luisa lehrt heute an der Universität Sassari Diritto Comune.

Emilio Bussi begann seine Forschungen Ende der zwanziger und Anfang der dreissiger Jahre im Bereich des mittelalterlichen gemeinen Rechts (diritto comune). Er folgte einem dogmengeschichtlichen Ansatz, von dem aus er versuchte, das Gedankengebäude des gemeinen Rechts aus seinen Voraussetzungen zu erfassen. Ausgehend von den Formen der actio in rem und der actio in personam, dringt er zu einem Verständnis des andersartigen Rechtsbegriffes des mittelalterlichen gelehrten Rechts vor, das von der Klagform ausgeht und argumentativ von dort zur causa proxima die Verbindung schlägt, den Rekurs auf die causa remota aber aus Vorsicht eher vermeidet[1]). Bussi kommt von diesem Ausgangspunkt zu einer Rekonstruktion des Zusammenhangs der Normen, der juristischen Konstruktionen und Theorien, die vom 14. bis zum 18. Jahrhundert die europäische Rechtswissenschaft beherrschen und dann auch Grundlage der, freilich von einem anderen Denkansatz kommenden modernen Kodifikationen sind. Bussi hat in Deutschland damals Anerkennung u. a. durch eine Rezension von Paul Koschaker gefunden[2]); Coing hat seine Arbeit noch einmal in seiner Darstellung des neueren gemeinen Rechts hervorgehoben[3]). Freilich kam Bussi damit auch in Gegensatz zu der zur gleichen Zeit entwickelten, wirkungsstarken Lehre des späteren Inhabers des römischen Lehrstuhls, Francesco Calasso. Dieser kam von einem mehr geistes- und wissenschaftsgeschihtlichen Ansatz und legte die Fundamente des ius commune mehr in die Phase der Begründung der Schule von Bologna, also in die Zeit von Irnerius bis Bartolus. Der Gegensatz führte wohl auch dazu, daß Bussi sich von diesem Arbeitsgebiet abwandte.

          Die Breite der geistigen Spannweite Emilio Bussis zeigte sich darin, daß er die Kenntnisse der arabischen Sprache, die er in seiner Jugend durch eine Schulzeit in Bengasi erworben hatte, dazu verwandte, tief in das islamische Reich einzudringen und ihm eine lange Reihe von Studien zu widmen. Sie fanden ebenfalls große Anerkennung.

Nachdem er sich schon in den vierziger Jahren der Frage nach den Grundlagen des modernen Staates und einer historisch begründeten allgemeinen Staatslehre zugewandt hatte[4]), fand er nun das Arbeitsgebiet, das ihn seither am intensivsten beschäftigt hat: Das Verfassungsrecht des Heiligen Römischen Reiches in seiner Spätzeit[5]) sovie der gleichzeitige aufgeklärte absolutistische Fürstenstaat, vor allem Preußens[6]). Dem war ein intensives Studium der deutschen Reichspublizistik vorausgegangen, das sich bis in die barocksprächslichen Anklänge in Bussis gepflegtem Deutsch auswirkte. Man muß sich die Lage rückblickend vorstellen: Die Geschichtswissenschaften vorsuchten nach den Erschütterungen der NS-Herrschaft über Europa und ihres Zusammenbruchs zunächst mehr einen Neuansatz unter Anknüpfung an ihre Traditionen. Für die deutsche Rechts- und Verfassungsgeschichte bedeutete das Ausrichten auf das Mittelalter und die Entwicklung der neuzeitlichen Fürstenstaaten; hier erschien, das Reich der Frühneuzeit in einer negativen Bewertung: Politisch schwach, in der Struktur überholt, ein Hindernis der Modernisierung. Bussi hatte hier den Mut vor anderen, die plurale und föderale Struktur, das Friedens- und Ausgleichsprinzip, die inhärente Ethik, die er mit den Prinzipien der Monarchie altständiger Prägung verbunden sah, als Leitbild einer europäischen Selbstbesinnung und Erneuerung darzustellen. Das erschien bei ihm frei von abendländischer Ideologie, in einer fast positivistischen Strenge, mit der Er zunächst einmal die Grundstrukturen, wie er sie in der Reichspublizistik fand, darlegte. Daß die von ihm vertretene Sicht der Spätzeit des Reiches heute die herrschende geworden ist, sollte nicht den Blick darauf verstellen, wie ungewöhnlich und ermutigend es damals war, daß aus dem Nachbarland Italien, dem eine geistige Hinwendung zu Frankreich nach der deutsch-italienischen Geschichte des 20. Jahrhunderts so viel näher lag, eine solche Bewertung von lange verworfenen Teilen der deutschen Geschichte kam und das Reich der deutschen Nation in seiner historischen Bedeutung gesehen wurde. Bussis lange Beschäftigung mit diesem Thema fand einen Abschluß in dem Rück- und Vorausblick, den er auf Einladung der Herausgeber in der Zeitschrift „Der Staat“ auf deutsch veröffentlichen konnte[7]).

Das zweibändige Werk von 1957/59 fand sogleich die Aufmerksamkeit der deutschen historischen und rechtshistorischen Wissenschaft. Der Kontakt war geknüpft mit Hans Thieme, Hermann Conrad, Hans Lentze, Oswald von Gschließer, später Otmar Frh. von Aretin und vielen anderen ergaben sich wissenschaftliche und persönliche Beziehungen. Vor allem entstand eine lebenslange Freundschaft und Zusammenarbeit mit dem Frankfurter Ordinarius für deutsche Rechtsgeschichte, Adalbert Erler Dieser hatte das ihm übersandte Werke sogleich in dieser Zeitschrift besprochen[8]). Ein treffen Bussis mit Erler und seinem Seminar sowie den Wiener Rechts­historikern in Wien leitete eine Periode engen Zusammenwirkens ein. Bussi weilte in den sechziger Jahren fast jährlich in Frankfurt und lehrte dort als Gastprofessor In gemeinsamen Seminartagungen auf italienischem Boden wurden unter der Leitung von Emilio Bussi und Adalbert Erler alljährlich junge Wissenschaftler und Studenten beider Länder zum Gespräch über Grundfragen der europäischen Geschichte zusammengeführt. Vor allem die im Palladiostil erbaute Villa Cordellina-Lombardi bei Vicenza war viele Jahre Stätte dieser Veranstaltungen, danach das langobardisch-karolingische Kloster Novalesa im Hochtal der Piemontäser Alpen. Nach der Emeritierung von Adalbert Erler setzten sich diese Seminartreffen auf Initiative von Emilio Bussi mit dem Wiener Seminar von Rudolf Hoke und dem Frankfurter Seminar von Gerhard Dilcher, anfangs auch Wolfgang Sellert, bis in die achtziger Jahre fort, u. a. in Novalesa. Modena, Rom. Turin und Mailand.

Viele Dutzende deutscher Jurastudenten haben auf diese Weise Italien aus einer kulturhistorischen europäischen Perspektive kennengelernt. Daneben wurden mehrere Studien-Austauschprogramme ins Leben gerufen, und Familie Bussi beherbergte mehrfach deutsche Studenten. Der Verfasser dieser Zeilen erinnert sich dankbar der Zeit als Habilitationsstipendiat der DFG in Rom, in der Emilio Bussi ihm nicht nur manche Türen öffnete. sondern ihm auch in vielen Gesprächen ein tieferes Verständnis des italienischen Denkens und der italienischen Lebensform erschloß.

Gleichzeitig vermittelte Bussi in einer Vielzahl von Vorträgen, Aufsätzen und Rezensionen die wechselseitige Kenntnisnahme von wissenschaftlichen Forschungen und ihren Ergebnissen zwischen Italien und Deutschland.

Emilio Bussi erfuhr zahlreiche Ehrungen und Auszeichnungen. Er war Träger italienischer Orden sowie des Großen Verdienstkreuzes der Bundesrepublik Deutschland. Eine frühere Anerkennung aus Deutschland. die ihm viel bedeutet hatte, war die Brief des damaligen Bundespräsidenten Theodor Heuss, mit dem er Bussi seine Gratulation zu dem Buch über die Verfassung des Heiligen Römischen Reiches aussprach. Seine konservative Gesinnung ließ Bussi in vieler Hinsicht gegen den Zeitgeist protestieren; das führte ihn zu einem Festhalten an der Monarchie und zu Ämtern und Ehrungen durch das italienische Königshaus. Deutsche Freunde konnten manches Mal seine politischen Positionen nicht teilen, blieben aber stets beeindruckt von seiner Offenheit und der Lauterkeit seiner Standpunkte. Die deutsche Wiedervereinigung, an die er als eine historische Notwendigkeit geglaubt hatte, noch erlebt zu haben, war ihm eine große Befriedigung.

Sein hohes Alter und körperliche Schwäche vermochten nicht, die Klarheit seines Geistes und die Zuwendung zur Familie und zu seinen Freunden zu beeinträchtigen.

 

 

 


 



 

* Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 116 (Germanistische Abteilung), 1999.

 

[1] Das Hauptwerk: La formazione dei dogmi di diritto privato nel diritto comune, Vol.I Padova 1937 (2 1972), Vol. II Padova 1939.

 

[2] Paul Koschaker, diese Zs. Rom. Abt. 1938, S.252 ff.

 

[3] Helmut Coing, Europäisches Privatrecht, Bd. I: Älteres Gemeines Recht (1500 bis 1800). München 1985, S.3.

 

[4] Evoluzione storica dei tipi di stato, Milano 1948. 2Cagliari 1954. 3Cagliari 1970. Die letzte Bearbeitung steht unter dem Einfluß von Otto Brunners Land und Herrschaft, von dem Bussi eine Übersetzung gefertigt hat, die nicht zum Druck kam.

 

[5] Il diritto pubblico del Sacro Romano Impero alla fine del XVIII secolo. Vol. I. Padova 1957, Vol. II, Milano 1959.

 

[6] Etwa: Stato e amministrazione nel pensiero di Carl Gottlieb Svarez precettore di Federico Guglielmo III di Prussia, in: Archivio della Fondazione italiana per la Storia amministrativa 1966.

 

[7] Das Recht des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation als Forschungsvorhaben der modernen Geschichtswissenschaft, in: Der Staat Bd. 16, 1977.

 

[8] A. Erler in dieser Zs. 1959 und 1960.